Am 11. Juli 1987 überschritt die Weltbevölkerung die Marke von 5 Milliarden Menschen. Um auf die Herausforderungen, die damit verbunden sind, hinzuweisen, erklärten die Vereinte Nationen diesen Tag zum Internationalen Weltbevölkerungstag. Heute leben rund 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde und in jeder Sekunde kommen zwei bis drei dazu. In 30 Jahren sollen es 9,2 Milliarden sein.
All diese Menschen teilen sich zusammen unsere Welt. Die Herausforderung: In diesem Jahrtausend kann der Planet Erde nur begrenzt genug Lebensmittel, Raum und seltene Ressourcen wie Öl für alle bereitstellen – das ist vor allem dem menschlichen Lebensstil geschuldet. Denn wir Menschen in Europa und anderen Industrienationen leben weit über das, was die Erde für uns leisten kann, hinaus. Dabei sind doch Wasser und saubere Luft, Bildung, Nahrung und ein Dach über den Kopf Rechte eines jeden Menschen. Jeder und jedem steht ein gutes und würdevolles Leben in Sicherheit zu – das ist die grundsätzliche Idee des Prinzips Gerechtigkeit. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass auf der Welt mehr Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit herrscht. Es gibt es eine immer größer werdende Schere zwischen Wohlhabenden und Armen. Denen, die Naturkatastrophen zum Opfer fallen und denen, die davor geschützt sind. Denen, die ein Zuhause haben und denen, die obdach- und mittellos sind. Das ist nicht nur beim Blick in die Zeitungen oder in die Fernsehnachrichten zu Berichten aus fernen Ländern beobachtbar, sondern genauso innerhalb Europas, Deutschlands und Hamburgs, vor unserer eigenen Haustür.
Nachhaltige Entwicklung bezeichnet gemäß dem Brundtland-Bericht 1987 eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation dient, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Die Idee entspringt dem Begriff der Nachhaltigkeit, der erstmals in der Forstwirtschaft aufkam und bedeutet, dass nur so viele Bäume abgeholzt werden sollten wie nachwachsen können.
Der Anblick dieser Ungerechtigkeit ist oft lähmend. Dabei kann jede und jeder Einzelne von uns im Alltag etwas zu etwas mehr Gerechtigkeit beitragen – nicht nur in der eigenen Stadt, sondern sogar weltweit. In unserem alltäglichen Leben hinterlassen wir weitreichende Spuren, ob im Supermarkt, bei der Auswahl des Energieanbieters oder auf dem Arbeitsweg, überall dort, wo wir Ressourcen und Energie verbrauchen. Unter dem Leitspruch „Global denken, lokal handeln“ haben wir alle Möglichkeiten, diese Spur zu einer positiven zu machen. Einen besonderen Einfluss können auch Kindertagesstätten nehmen, und zwar aus drei Gründen.
Kinder sind die Gesellschaft von morgen
Erstens betreuen sie Kinder, die einen Teil der Generation von morgen bilden. Was die Kinder heute erfahren und verinnerlichen, prägt sie als Erwachsene noch. In der Bildungsarbeit – insbesondere bei der Gestaltung der Kita als Lernort einer nachhaltigen Entwicklung - kann der Aspekt der Gerechtigkeit deshalb immer wieder über vielfältige Zugänge aufgegriffen werden. Dabei vermittelt er den Kindern gleichzeitig wertvolle Kompetenzen wie Gestaltungskompetenz, Handlungsfähigkeit und autonome Lebensführung und genauso auch Solidarität und Empathie für andere. Schon ab dem 3. Lebensjahr erlernen Kinder Empathie – und damit die Grundlage für Gerechtigkeitsempfinden.
Gerechtigkeit ist kein universell eindeutig definiertes Prinzip – es ist schwierig zu verstehen und umso schwieriger zu erreichen. Meist hat jede und jeder schon von klein auf eine Idee davon, was gerecht und ungerecht für einen persönlich und für andere bedeutet. Mit Kindern im Vorschulalter kann dazu ein spannender Dialog angestoßen werden. In dem bundesweiten Projekt „Leuchtpol – Energie und Umwelt neu erleben“ wurde 2011 ein Handbuch publiziert, das die Methode des Philosophierens mit Kindern über Nachhaltigkeit vorstellt und Anregungen für die Umsetzung in der Kita gibt. Vor dem Hintergrund ihrer lebensweltlichen Erfahrung und mit Rückgriff auf Materialien wie Bilder kommen Kinder gemeinsam ins Grübeln, auch zu Themen von Un-/Gerechtigkeit, was diese für sie bedeutet, wer über diese entscheidet, welche Kriterien bei der Verteilung von Gütern auf Menschen sie anwenden und wie sie ihre eigene Rolle bei der Herstellung von Gerechtigkeit erfahren (siehe S. 60-71). Spannend finden Kinder natürlich auch das Thema Kinderrechte. Mithilfe von Bildern, Fotos, Rollenspielen und vielem mehr kann sich dem unterschiedlichen Leben von Kindern auf der Welt genähert werden. Das Handbuch kann kostenfrei heruntergeladen werden.
Eine andere Möglichkeit, Gerechtigkeit als Thema in die Bildungsarbeit einfließen zu lassen, ist die Einrichtung eines Patenprogramms. Dabei übernehmen beispielsweise ältere Kinder eine Patenschaft mit einem kleineren Kind und begleiten es durch seine erste Zeit in der Kita. So kommt Un-/ Gerechtigkeit als Prinzip zwar nicht explizit zur Sprache. Aber das Programm eröffnet einen Rahmen für Austausch zwischen zwei Kindern, die an ungleichen Ausgangspunkten starten – eins betritt zum ersten Mal eine Kita, während das andere schon Expertin oder Experte für den Kita-Alltag ist. Es regt zu mehr Aufmerksamkeit füreinander und gegenseitiger Unterstützung über die Kita-Gruppen hinweg an. Diese positive Haltung kann nach längerer Laufzeit des Programms auf alle Beteiligten, auch auf die Eltern, abfärben.
Ob Ernährung, Wasser, Basteln oder Wind und Wetter im Bildungsprogramm stehen – Fragestellungen nach Un-/Gerechtigkeit können überall prominente Plätze finden.
Gerecht sein und fair kaufen
Zweitens sind Kitas Einrichtungen, die tagtäglich vielfache Dienstleistungen und Produkte in Anspruch nehmen, wie etwa Lebensmittel, Energie, Verkehrsmittel und Spielzeuge. Beim Ankauf dieser können viele Kitas – in Abstimmung mit dem Träger oder individuell – entscheiden, welche Unternehmen oder Organisationen sie unterstützen möchten. Mit Rückblick auf die finanziellen Ressourcen können alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam diejenigen Unternehmen gezielt auswählen, die sich beispielsweise fairen Arbeitsbedingungen verschrieben haben. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Ankauf von Fairtrade-Produkten. Das Fairtrade-Siegel verspricht dem Konsumenten ein Produkt, das unter fairer und stabiler Bezahlung über transparente Handelsketten hergestellt worden ist. Vor allem auf Kaffee und Tee ist es zu finden. Inzwischen sind Produkte mit Fairtrade-Siegel meist nicht teurer als kommerzielle Produkte – warum also nicht zu einer neuen und fairen Kaffeebohne greifen?
Der Deutsches Rote Kreuz Kreisverband Pinneberg bei Hamburg hat als Träger von 17 Kindertageseinrichtungen in diesem Jahr eine Richtlinie zur ressourcenschonenden Beschaffung entwickelt, die ab September 2018 in allen 17 DRK-Kitas des Kreises verpflichtend gilt. Zusammen mit einer AG aus vier Leitungskräften unterstützte die S.O.F. Save Our Future – Umweltstiftung die Kitas bei der Festlegung von Standards sowie darüber hinaus gehenden Empfehlungen in den Bereichen Küche, Energie, Hauswirtschaft und Reinigung, Büro und Gebäude, die es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kitas erleichtern sollen, klimafreundliche Produkte anzukaufen und umweltfreundlich zu wirtschaften. Ein Schwerpunkt für das erste Umsetzungsjahr liegt auf der einheitlichen Verwendung ökologisch abbaubarer Reinigungsmittel. Auch die Reduktion von Fleischkonsum, zum Beispiel auf eine fleischhaltige Mahlzeit in der Woche, oder die Nutzung von Recyclingpapier (sowohl im Büro als auch für die Bildungsarbeit) leisten einen großen Beitrag zum Klimaschutz. Dabei ist egal, ob die Kita nur zehn oder 150 Kinder beherbergt, denn jeder Beitrag macht einen signifikanten Unterschied.
Miteinander reflektieren
Drittens sind Kitas Arbeitgeber für verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ob pädagogische Fachkräfte, Hauswirtschaftskräfte oder Verwaltungskräfte. Deshalb bietet die Thematik Gerechtigkeit/ Ungerechtigkeit auch Anlass, zusammen im Team über Fragen wie „Geht es in unserer Kita gerecht zu?“ und „Was können wir noch zur Gerechtigkeit in unserem Haus beitragen?“ zu reflektieren. Dabei ist wichtig, dass eine solche Diskussion immer losgelöst vom Einzelfall abläuft. Im Team kann gemeinsam untersucht werden, in welchen Bereichen das Thema alle zusammen und prinzipiell angeht: Ob als Einzelpersonen, zwischen den pädagogischen Fachkräften, in Zusammenarbeit mit den Eltern und Partnern. Nicht nur das Team kann sich so bewusst werden, was das Prinzip Gerechtigkeit eigentlich beinhaltet und welchen Beitrag es erfordert. Diese Fragen können wir alle mit nach Hause nehmen.